Lipase erhöht ohne Symptome: Was der Laborwert bedeutet
Der Anruf aus der Arztpraxis kommt unerwartet. « Ihre Blutwerte sind da. Es ist alles in Ordnung, aber ein Wert ist auffällig: Die Lipase ist erhöht. » Man fühlt sich aber völlig gesund, hat keine Schmerzen, keine Beschwerden. Und sofort beginnt das Kopfkino: Was bedeutet das? Ist das gefährlich? Muss ich mir Sorgen um meine Bauchspeicheldrüse machen?
Dieser Moment der Verunsicherung ist völlig normal. Eine Lipase, die ohne Symptome erhöht ist, ist einer der häufigsten Zufallsbefunde im Labor und löst oft mehr Angst aus, als eigentlich nötig wäre. Die gute Nachricht zuerst: In sehr vielen Fällen steckt dahinter keine ernsthafte Erkrankung. Eine Studie mit Krankenhauspatienten zeigte, dass bei 8 % der Teilnehmer ohne typische Beschwerden die Pankreasenzyme erhöht waren – ohne dass eine behandlungsbedürftige Krankheit gefunden wurde.
Dennoch darf man einen solchen Wert nicht einfach ignorieren. Er ist ein Signal des Körpers, das eine strukturierte und ruhige Abklärung erfordert, aber eben keine Panik. Es geht darum, den Unterschied zwischen einem harmlosen Labor-Schönheitsfehler und einem echten Warnsignal zu verstehen.
Die Infos zum Mitnehmen (wenn Sie keine Zeit haben, alles zu lesen)
- 🤔 Was bedeutet der Befund? Ein erhöhter Lipasewert allein ist keine Diagnose, sondern ein Laborwert, der verschiedene Ursachen haben kann – die meisten davon sind harmlos.
- 🤷 Die häufigste harmlose Ursache: Oft handelt es sich um das sogenannte Gullo-Syndrom, eine chronische, gutartige Erhöhung der Pankreasenzyme ohne Krankheitswert.
- ⚠️ Wann wird es relevant? Mediziner werden hellhörig, wenn der Lipasewert das Dreifache des Normwertes übersteigt. Dies ist laut offizieller Leitlinie der Grenzwert, ab dem eine weitere Diagnostik empfohlen wird.
- 🧑⚕️ Was macht der Arzt? Der Weg ist klar: Zuerst wird der Wert kontrolliert, dann folgen ein ausführliches Gespräch, ein Bauchultraschall und nur bei begründetem Verdacht weitere Bildgebung wie ein MRT.
- ✅ Kein Grund zur Panik: Eine erhöhte Lipase ist in den allermeisten Fällen nicht das erste Anzeichen für Bauchspeicheldrüsenkrebs, insbesondere wenn keinerlei andere Symptome wie Gewichtsverlust oder Schmerzen vorliegen.

Die häufigste harmlose Erklärung: Das Gullo-Syndrom
Stellen Sie sich vor, Ihr Auto hat einen winzigen Kratzer im Lack, den nur die Werkstatt bei der Inspektion entdeckt. Das Auto fährt perfekt, alles funktioniert, aber dieser kleine Makel ist da. So ähnlich können Sie sich das Gullo-Syndrom vorstellen.
Benannt nach seinem Entdecker, dem italienischen Arzt Dr. Lucio Gullo, beschreibt dieses Syndrom eine chronische, gutartige Erhöhung der Pankreasenzyme (Lipase, Amylase) im Blut, für die keine organische Ursache gefunden werden kann. Die Betroffenen sind vollkommen beschwerdefrei.
Die wichtigsten Merkmale des Gullo-Syndroms sind:
- Die Werte sind dauerhaft leicht bis mäßig erhöht.
- Die Werte können stark schwanken und zwischendurch sogar im Normalbereich liegen.
- Alle Untersuchungen der Bauchspeicheldrüse (Ultraschall, MRT) bleiben ohne Befund.
- Es handelt sich um eine sogenannte Ausschlussdiagnose: Erst wenn alle anderen möglichen Ursachen für die erhöhten Werte sorgfältig ausgeschlossen wurden, kann man von einem Gullo-Syndrom sprechen.
Es hat nach heutigem Wissensstand keinen eigenen Krankheitswert und muss nicht behandelt werden. Es ist einfach eine individuelle Eigenheit des Stoffwechsels.
Wann eine erhöhte Lipase ohne Symptome doch abgeklärt werden muss
Auch wenn das Gullo-Syndrom häufig ist, dient der erhöhte Lipasewert als Anlass, genauer hinzusehen. Führende Experten wie Prof. Dr. Patrick Michl vom Universitätsklinikum Heidelberg betonen, dass ein gründliches diagnostisches Vorgehen wichtig ist, um keine relevanten Erkrankungen zu übersehen.
Die offizielle medizinische Leitlinie in Deutschland (die S3-Leitlinie Pankreatitis der DGVS) definiert eine abklärungsbedürftige asymptomatische Hyperlipasämie, wenn der Wert das Dreifache der oberen Normgrenze überschreitet.
Neben einer beginnenden oder chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis) können auch andere Zustände zu erhöhten Werten führen, oft begleitet von milden oder unspezifischen Symptomen:
- Medikamente: Bestimmte Medikamente, darunter auch moderne Immuntherapien (Checkpoint-Inhibitoren), können die Lipase ansteigen lassen.
- Niereninsuffizienz: Eine eingeschränkte Nierenfunktion kann den Abbau der Lipase verlangsamen.
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen: Bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa können die Werte manchmal erhöht sein.
- Zöliakie: Auch eine Glutenunverträglichkeit kann in seltenen Fällen mit einer leichten Lipase-Erhöhung einhergehen.
Die 3 größten Missverständnisse, die für unnötige Angst sorgen
Die Unsicherheit nach einem auffälligen Laborbefund führt oft zu voreiligen Schlüssen. Hier sind die drei häufigsten Irrtümer, die Sie kennen sollten:
- « Erhöhte Lipase bedeutet Bauchspeicheldrüsenkrebs. »
Das ist der größte und zugleich unbegründetste Angstmacher. Ein Pankreaskarzinom ist eine schwere, aber seltene Erkrankung, die sich fast immer durch massive Symptome wie starken Gewichtsverlust, Oberbauchschmerzen oder eine Gelbfärbung der Haut bemerkbar macht. Eine isoliert erhöhte Lipase ohne jegliche andere Anzeichen ist so gut wie nie ein Hinweis auf Krebs. Die Lipasebestimmung ist kein Screening-Instrument für Tumore. - « Meine Werte schwanken, das ist ein schlechtes Zeichen. »
Das Gegenteil ist oft der Fall. Gerade beim harmlosen Gullo-Syndrom sind schwankende Werte typisch. Eine starre, konstant ansteigende Erhöhung wäre eher ein Grund zur Sorge. Wenn Ihr Wert also bei einer Kontrollmessung wieder niedriger oder sogar normal ist, ist das eher beruhigend. - « Ich muss sofort in die Röhre (MRT). »
Eine gute Diagnostik erfolgt immer schrittweise. Niemand wird wegen eines leicht erhöhten Zufallsbefundes sofort in ein MRT geschickt. Der Prozess beginnt immer mit dem einfachsten und am wenigsten belastenden Schritt: dem Gespräch mit dem Arzt, einer erneuten Blutabnahme zur Kontrolle und einem einfachen Bauchultraschall. Nur wenn hier Unklarheiten bleiben oder der Wert sehr stark erhöht ist, kommen weitere bildgebende Verfahren ins Spiel.

Der diagnostische Fahrplan: Was Ihr Arzt tun wird
Wenn bei Ihnen eine erhöhte Lipase ohne Symptome festgestellt wird, folgt Ihr Arzt einem bewährten, stufenweisen Plan, um die Ursache zu klären.
- Das Gespräch (Anamnese): Zuerst wird Ihr Arzt gezielte Fragen stellen: Welche Medikamente nehmen Sie ein? Wie sind Ihre Ernährungsgewohnheiten (insb. Alkoholkonsum)? Gibt es Bauchspeicheldrüsenerkrankungen in Ihrer Familie?
- Wiederholung der Messung: Um einen Laborfehler auszuschließen und zu sehen, ob der Wert stabil ist, wird die Blutabnahme nach einiger Zeit wiederholt. Oft hat sich das « Problem » dann schon von selbst erledigt.
- Basis-Laboruntersuchung: Es werden weitere Blutwerte bestimmt, um die Funktion von Leber und Nieren sowie Entzündungsmarker zu überprüfen. Ein ebenfalls häufiger Zufallsbefund ist beispielsweise ein erhöhter GPT-Wert, der auf die Lebergesundheit hinweist.
- Bauchultraschall (Sonografie): Dies ist die wichtigste und einfachste Untersuchung. Der Arzt kann die Bauchspeicheldrüse, die Gallenblase und die Gallengänge direkt ansehen und grobe Veränderungen wie Zysten, Steine oder Schwellungen erkennen.
- Weiterführende Bildgebung: Nur wenn der Ultraschall unklar ist oder der Verdacht auf eine spezifische Erkrankung besteht, werden fortgeschrittene Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT/MRCP) eingesetzt. Sie können die Feinstruktur der Drüse und der Gänge detailliert darstellen.
Das Verständnis von Laborwerten ist ein wichtiger Schlüssel zur eigenen Gesundheit. Ähnlich wie bei der Lipase kann auch ein niedriger Ferritinwert auf den ersten Blick verunsichern, ist aber mit dem richtigen Wissen gut einzuordnen. Eine erhöhte Lipase ohne Symptome ist also ein klassischer Fall, bei dem eine informierte und ruhige Herangehensweise der beste Ratgeber ist. Es ist ein Anstoß zur Überprüfung, aber in den allermeisten Fällen kein Grund zur Sorge.
FAQ: Häufig gestellte Fragen
- Kann Stress die Lipase erhöhen?
Nein, es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass psychischer Stress direkt zu einem signifikanten Anstieg der Lipase führt. Allerdings kann Stress zu Verhaltensweisen führen (z. B. erhöhter Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung), die wiederum die Bauchspeicheldrüse belasten können. - Was ist der Unterschied zwischen Lipase und Amylase?
Beides sind Verdauungsenzyme der Bauchspeicheldrüse. Die Lipase gilt heute als der spezifischere Marker, da die Amylase auch in anderen Organen (z. B. den Speicheldrüsen) gebildet wird und daher bei einer Erhöhung weniger eindeutig auf die Bauchspeicheldrüse hinweist. - Muss ich meine Ernährung umstellen, wenn meine Lipase erhöht ist?
Solange keine krankhafte Ursache gefunden wurde, ist keine spezielle Diät notwendig. Generell ist es für die Gesundheit der Bauchspeicheldrüse immer ratsam, auf übermäßigen Alkoholkonsum zu verzichten und sich ausgewogen zu ernähren. Eine radikale Ernährungsumstellung ist aber ohne Diagnose nicht sinnvoll.
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